HDS: Wunsch nach mehr Vernetzung

Bei der ersten Mitmach- und Vernetzungskonferenz vom Haus der Selbständigen (HDS) in Berlin präsentieren Teilnehmer Ergebnisse der Arbeitsgruppen. Foto: Gundula Lasch

Die Resonanz auf die Einladung der neuen Berliner Anlaufstelle des Hauses der Selbstständigen (HDS) war überwältigend: Rund 120 Solo-Selbstständige (SoloS) kamen am 16. September zur ersten Mitmach- und Vernetzungskonferenz in die ver.di-Landesverwaltung, um sich von ihren Initiativen zu erzählen, sich auszutauschen, Erfolge zu teilen und gemeinsam nach neuen Ideen zu suchen.

Im ersten Teil stellten sich Initiativen Solo-Selbstständiger im Plenum vor.  Jeweils vier Minuten hatten sie Zeit, in denen sie ihre Ziele, Herausforderungen und Erfolge umreißen konnten. 

Atoscha Grünwald und Lara Nagel vom Anne-Frank-Zentrum in Berlin konnten diese Fragen griffig beantworten, denn sie haben einen engen Schulterschluss mit den Festangestellten des Zentrums geschafft, sich mit gemeinsamen Aktionen und großer Präsenz in den sozialen Medien auch öffentlich bemerkbar gemacht. So konnten sie schon viele Verbesserungen erreichen. In ihrer ver.di-Betriebsgruppe arbeiten feste und freie Mitarbeiter*innen eng zusammen. Ihr nächstes Ziel: Ein Tarifvertrag für alle unabhängig vom Status.

Ähnlich ist es  bei der Dozent*innen-Vertretung der Berliner Volkshochschulen (VHS), die Stephan Fleck präsentierte. Ihr Zusammenschluss hat es geschafft, zu Entscheidungsträger*innen und Unterstützer*innen im Berliner Senat Kontakte aufzubauen, sie von ihren Anliegen zu überzeugen und mit langem Atem erfolgreich zu sein. Heute gilt das „Berliner Modell“ als leuchtendes Beispiel für kollektive Lösungen für SoloS. Wir berichteten darüber bereits in unserem Podcast. Ihr nächstes Ziel: Ein Inflationsausgleich angelehnt an die Regelungen des öffentlichen Dienstes für alle VHS-Beschäftigten unabhängig vom Status.

„Lasst uns über Kohle reden!“

Sirrka Möller von der AG Festivalarbeit in ver.di brachte es auf den Punkt: „Lasst uns über Kohle reden!“  Der Zusammenschluss von Menschen, die bei Filmfestivals arbeiten, hat sich von Anbeginn über ver.di organisiert und ist vor allem sichtbar über den „Fair Festival Award“, der jährlich an das beste Festival in Deutschland verliehen wird. Die Grundlage für die Bewertung liefert eine Umfrage unter (festen wie freien) Festivalbeschäftigten zu ihren Arbeits- und Einkommensbedingungen.

Auch in der AG Basishonorare haben sich Künstler*innen innerhalb von ver.di zusammengetan, berichtete Ina Stock. „Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, diese Basishonorare zu kalkulieren und ist eine noch größere, diese Forderungen nun in die Öffentlichkeit zu bringen“, sagte die Sprecherin. Mittlerweile aber sei die ver.di-Kalkulationshilfe bei vielen öffentlichen Projekten und Institutionen bekannt und es gibt sogar eine Kommune, die das Modell verbindlich anwenden will: Kempten im Allgäu. 

Viel Beifall bekam auch Jules Butzek von der Arbeitsgemeinschaft der behinderten Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz (AAPA). Die Frage, was Arbeitgeber*innen auf diesem SoloS-Treffen verloren haben, war schnell beantwortet: Behinderte Menschen, die persönliche Assistenz benötigen, können ihre Assistenz über einen Assistenzdienst bekommen, oder zu „Arbeitgeber*innen“ werden. Letzteres bedeutet, sie können ihre Assistent*innen bei sich selbst anstellen, im Rahmen des Arbeitgeber*innen-Modells. Dies ist ein hart erkämpftes Modell von der Selbstbestimmt Leben Bewegung.
2019 konnten die beiden großen Assistenzdienste in Berlin einen Haustarifvertrag abschließen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, galt seitdem leider nicht mehr. Die Konsequenz für Jules und viele Gleichgesinnte war, einen Arbeitgeber*innenverband zu gründen und mit den Assistent*innen einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Ziele der AAPA sind, dass behinderte Menschen das Recht auf ein selbst bestimmtes Leben haben und ihre Assistent*innen gerecht entlohnt werden müssen. Auch wenn es mühsam sei, mit politischen Entscheidungsträgern zu diskutieren und sich ins Tarifvertragsrecht einzufuchsen, sagte Jules voller Überzeugung: „Es lohnt sich, sich zusammenzuschließen!“

Laura Pierson Wadden von der Tech Workers Coalition musste leider kurzfristig absagen – das Signal der Initiative von SoloS aus dem IT- und Hackerbereich, deren Mitglieder aus vielen Ländern kommen, kam trotzdem beim Treffen an: Es lohnt sich, die Machtstrukturen der Tech-Industrie zu analysieren und aufzudecken, sich gemeinsam gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Honorare zu wehren.

Magdalena Ziomek, Gründerin und Vorstand der Smart eG stellte die Genossenschaft für SoloS vor. In Deutschland sind es bereits 890, europaweit rund 100.000 Mitglieder, die vom Schutz der Genossenschaft profitieren. Sie kommen aus 50 Nationen, arbeiten in 30 Berufsgruppen und erwirtschaften im Dienst für rund 4.000 Kund*innen einen Umsatz von rund 13 Millionen Euro pro Jahr. „Die eG zahlt jährlich rund 4,5 Millionen Euro Sozialbeiträge für ihre Mitglieder“, sagte Ziomek. Für viele SoloS im Dienstleistungsbereich kann diese Organisationsform ein sicheres Einkommen, soziale Absicherung und Erleichterung der Geschäftstätigkeit leisten.

Die ver.di-Landeskommission Selbstständige in Berlin-Brandenburg, die Helga Dressel vorstellte, ist das Gremium der SoloS in der Gewerkschaft. „Wir vertreten euch“, fasste es Helga kurz zusammen und bot den Teilnehmenden an, sich aktiv an der gewerkschaftlichen Arbeit für SoloS zu beteiligen. Der politische Schwerpunkt wird in den nächsten Jahren das Thema Honorare sein. Hier wird es – wie bei den Basishonoraren im Kunst- und Kulturbereich – viel „Bewusstseinsarbeit“ zu leisten sein.

Der Nachmittag startete mit einer Stunde Gruppenarbeit, in denen sich die Teilnehmenden in Kleingruppen austauschten über gemeinsame Strategien von Festen und Freien, Kontaktaufbau und -pflege zu politischen Entscheidungsträger*innen und Unterstützer*innen, das offene Reden über Geld am Beispiel der Festivalarbeiter*innen, die branchenübergreifende Vernetzung von SoloS in ver.di, die Arbeit in der politischen Bildung oder im Bereich Film/Ton/Grafik. 

Zusammenschluss lohnt

Der abschließende Rücktrag der Highlights aus den Arbeitsgruppen zeigte die Vielfalt der Themen je nach Beruf und Branche, aber auch die große Schnittmenge an Problemen, die alle SoloS gemeinsam haben: mangelnde soziale Absicherung, miese Honorare, entgrenzte Arbeit und schwierige Arbeitsbedingungen. Viele Teilnehmende hatten den Wunsch nach Vernetzung, Austausch und der Entwicklung kollektiver Stärke geäußert. Sie bestätigten, dass die vorgestellten Initiativen Mut gemacht und gezeigt hatten, dass sich gemeinsames, solidarisches Handeln lohnt.

Eine konkrete Initialzündung gab es auch beim ersten HDS-Vernetzungstreffen: Die Idee eines HDS-Stammtischtreffs in Berlin. Zwei SoloS aus der Gruppe Film/Ton/Grafik wollen sich gemeinsam mit den HDS-Verantwortlichen in Berlin, Markus Borck, Pauline Bader und Mika Wodke, um die Umsetzung kümmern. 

Das Bild von einem Taubenschwarm, das Annika Gemlau in der Gruppenarbeit zeichnete und in der Abschlussrunde präsentierte, ist ein schönes Sinnbild für das Selbstverständnis vieler SoloS, die zum ersten Treffen gekommen waren: „Jeder der Vögel fliegt für sich allein, aber dennoch bilden sie zusammen eine Einheit, die sich in eine Richtung bewegt und die sie stärkt.“ 

Schon bald macht das HDS Berlin die nächsten Angebote für Interessenvertretungen von SoloS: Für den 9. November ist ein Basisseminar zur Honorarkalkulation geplant, das gemeinsam mit Social Impact angeboten wird. Und am 25. November können Interessierte bei einer Organisierungswerkstatt lernen, wie sie SoloS zusammenbringen und halten können. Näheres folgt in Kürze.

 

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